Karst und seine Formenvielfalt

Etwa 20% der Landesfläche der Schweiz besteht aus Gesteinen, welche verkarstungsfähig sind.

Dies bedeutet, dass «saures» Wasser den Stein beim Kontakt in einem chemischen Vorgang auflösen kann. So entstehen über die Jahrtausende verschiedene karsttypische Objekte. An der Oberfläche sind dies bei uns hauptsächlich:
- Karrenfelder (auch «Schratten» oder «Schränni» genannt),
- Dolinen,
- Bachschwinden (auch «Ponor» genannt) und
- Karstquellen.

Zum unterirdischen Karstformenschatz gehören die Höhlen mit:
- waagrecht verlaufenden Galerien,
- senkrechten Schächten,
- unterirdischen Gewässern und
- mineralischen Ablagerungen (Sedimente, Sinter, Tropfsteine).

Da die Erforschung der unterirdischen Hohlräume in der Schweiz noch lange nicht abgeschlossen ist, kommen laufend neue Entdeckungen hinzu. Diese werden in einer zentralen Datenbank gesichert und teilweise statistisch aufbereitet.
Ein Produkt daraus sind die Liste der längsten und tiefsten Höhlen der Schweiz.

Die Karstwelt

Höhlen sind Teil einer Landschaft, wo spezifische Prozesse ablaufen und ganz spezielle Lebensbedingungen herrschen.

Karstgebiete und Höhlen unterscheiden sind daher in verschiedenen Punkten von anderen Landschaftstypen oder Lebensräumen. Was sich unter der Erdoberfläche befindet, steht in engem Zusammenhang mit den in der Landschaft sichtbaren Objekten. Lösliches Gestein und Wasser sind wesentliche Faktoren, die zur Entstehung von unterirdischen Hohlräumen geführt haben, welche oft auch heute noch als unterirdische Abflusswege in Kalkgebieten dienen.

Anders als beim Grundwasser in den Schottern des Mittellandes und der Täler, erfolgt bei fehlender oder geringer Überdeckung der Kalkschichten praktisch keiner Selbstreinigung: Was im Boden, in Spalten, in Schächten, in Höhlen und Dolinen versickert, erscheint nach wenigen Stunden oder Tagen mehr oder weniger unverändert in einer Quelle oder im Grundwasser wieder. 
Besonders im Jura, aber auch in zahlreichen alpinen Gebieten beziehen unzählige Gemeinden ihr Trinkwasser aus Karst-Quellen; teilweise stellen sie die einzige mögliche Bezugsquelle dar. Jegliche "Abfallentsorgung" in Dolinen, Mulden und Schächten kann damit zu einer unmittelbaren Gefährdung führen, auch wenn der Ablagerungsort verhältnismässig weit von einer Quelle entfernt liegt. Denn die Herkunft dieses Wassers ist nur in einigen Fällen nachgewiesen; der unterirdische Verlauf oft kaum bekannt.

Forschungsergebnisse und Modelle ermöglichen Hydrogeologen heute Abschätzungen, um dem Geheimnis dieser Fliesswege auf die Spur zu kommen. Solange keine umfassenden Kenntnisse vorliegen, müssen bei Beurteilungen in Karstgebieten ein genügend grosses «Einzugsgebiet» und alle möglicherweise beteiligten Faktoren berücksichtigt werden.

 Podcast "Frisches Wasser zwischen Jura und Mittelland": Karstwasser als Chance für die zukünftige Versorgung mit sauberem Trinkwasser im Mittelland...
https://www.srf.ch/play/radio/kontext/audio/frisches-wasser-zwischen-jura-und-mittelland?id=f479ae41-d67c-4503-8b90-39db5d6abadf

Mensch und Höhle

In der Geschichte der Menschheit waren Höhlen immer schon als kurzzeitige Behausung, Zufluchtsort und Kultstätte von besonderer Bedeutung.

Dies belegen zahlreiche Funde aus der Zeit der Urmenschen. Die ältesten Menschenknochen, die man in Europa gefunden hat, sind ungefähr 800’000 Jahre alt. Damals suchten Menschen in Höhlen und Balmen Schutz vor dem Wetter und vor wilden Tieren. Sie gebaren dort auch Kinder und begruben ihre Toten. Da sie aber meistens den grossen Tierherden folgten, ist es falsch, von Höhlenmenschen zu sprechen. In der europäischen Mittelsteinzeit (ab etwa 10’000 v. Chr.) wurde der «moderne Mensch» als Homo sapiens sesshaft und betrieb in der Folge Ackerbau und Viehwirtschaft. Höhlen dienten weiterhin als Stätten für (religiöse) Kulte und auf ihren Wänden und Decken wurden die ersten Kunstwerke der Geschichte gemalt.

Dass wir diese Artefakte heute wissenschaftlich untersuchen, datieren und in einen Gesamtzusammenhang bringen können, verdanken wir der konservierenden Wirkung von Höhlen vor Umwelteinflüssen und vor dem Zugriff der modernen «Schatzsucher».

Heute schützen Gesetze zur Archäologie wertvolle Fundstätten.

Schauhöhlen

In der Schweiz erleichtern 11 Schauhöhlen den Besuchern ein Höhlenerlebnis.

Die Wirkung einer Schauhöhle kann dabei mit einem Naturpark verglichen werden: Teile einer Höhle werden einfacher begehbar gemacht und für eine touristische Nutzung freigegeben. Gleichzeitig werden die übrigen Höhlenteile sowie weitere nicht erschlossene Höhlen von allfälligem Besucherinteresse entlastet.

Auch wenn den Gästen mehr oder weniger Naturschutzaspekte erklärt werden können, beeinflussen die oft zahlreichen Besucher beispielsweise Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Kohlendioxidgehalt in der Höhlen-Luft. Im Bereich der Beleuchtung bildet sich oft eine typische Lampenflora, Abfälle führen zur Entstehung von Schimmelpilzen und Fledermäuse können beeinträchtigt werden.
Auch wenn Schauhöhlen in der Regel vorbeugend gegen Verschmutzung und Zerstörungen aktiv werden, dürfte der Trend zu individuellen Höhlenbesuchen ausserhalb geführter Gruppen in steigendem Mass zu Beschädigungen führen.

Der Lebensraum Höhle

Durch die dauerhafte Dunkelheit und einen relativen Mangel an Nahrung sind unsere Höhlen sehr spezielle Lebensräume.

Dafür bieten sie ihren Bewohnern konkurrenzarme Nischen und dauerhaft konstante Luftfeuchtigkeit und Temperatur während des ganzen Jahres.

Weil unter Tag das Sonnenlicht fehlt, läuft der uns bekannte Stoffkreislauf nur unvollständig ab. Denn ohne künstliches Licht von Lampen (z.B. in Schauhöhlen) können Pflanzen hier nicht überleben und Photosynthese betreiben. Es fehlt daher organisches Material, welches Tierarten als Nahrung zum Überleben brauchen.       
Eine oft sehr begrenzte Menge davon gelangt im eindringendem Wasser, mit der Luft oder als Eintrag von Lebewesen in den Untergrund. Auch wenn selbst Kot, tote Tiere und die darauf entstehenden Pilze und Bakterien gefressen werden, braucht es immer wieder eine Zufuhr von «Energie» von aussen. Wird diese Nährstofflieferung unterbrochen, kann der Lebensraum unbewohnbar werden.

Höhlen beherbergen eine grosse Zahl an Tierarten, welche auf die hier herrschenden gleichbleibenden Umweltbedingungen angewiesen sind. Bereits geringe menschliche Aktivitäten können dieses stabile Mikroklima stören und damit negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Eingriffe können gar zu einer völligen Veränderung der natürlichen Biofilme aus speziell angepassten Mikroorganismen führen.

Höhlentiere und ihre erstaunlichen Anpassungen

Die spezielle Lebensumgebung hat im Verlauf der Jahrtausende dazu geführt, dass in Höhlen Tiere überleben konnten, welche sonst nirgendwo anzutreffen sind. Oft sind sie weitgehend blind und ihre Haut scheint durchsichtig.

Teilweise ist ihr Tastsinn stark ausgeprägt. Sie sind als «echte» Höhlenbewohner in allen Entwicklungsstufen auf diesen Lebensraum angewiesen und verlassen ihn nur durch Zufall. Meist reagieren sie sehr empfindlich auf Temperaturänderungen. Ohne äussere Anpassungen und spezielle Verhaltensmuster wie beispielsweise ein reduzierter Stoffwechsel wäre die dauernde Nahrungsknappheit nicht zu ertragen. Viele Arten (wie beispielsweise der Höhlenflohkrebs) sind sehr klein und unscheinbar, weshalb wir auch vergleichsweise wenig über sie wissen.

Besonders nahe dem Eingangsbereich befinden sich oft auch Tiere, die eigentlich keine Höhlenbewohner sind und nur zufällig oder aus Not in Höhlen gelangen (z.B. mit einem Hochwasser). Sie sind an diesen Lebensraum wenig angepasst und sterben meist nach kurzer Zeit.

Besser auf Orientierung im Zwielicht oder Dunkel vorbereitet sind Arten, die Höhlen zu gewissen Zeiten im Lebenszyklus als «Gäste» aufsuchen; beispielsweise zur Fortpflanzung oder zum Rückzug im Winter (gewisse Fledermaus- und Schmetterlingsarten). Sie können sich im Dunkeln orientieren, suchen aber an der Oberfläche nach Nahrung.

Gewisse Tiere leben auch an der Erdoberfläche vergleichbar heimlich in Verstecken unter Steinen oder der Rinde. Sie fühlen sich daher in Höhlen wohl und können sich genügend anpassen, um sich auch fortpflanzen und dort dauerhaft bleiben zu können. Solche «höhlenliebende» Tiere wie Spinnen oder Springschwänze sind jedoch ausserhalb dieser speziellen Umgebung weiter lebensfähig, während «echte» Höhlenarten an der Erdoberfläche nicht auf Dauer lebensfähig sind.

Die Fledermaus, das "Wappentier" der Höhlenforschenden

Nur eine der 30 in der Schweiz bisher nachgewiesenen Arten von Fledermäusen hält sich oft in Höhlen auf. Mehrere Arten nutzen die speziellen Lebensbedingungen unter Tag jedoch zum Überstehen der draussen herrschenden Winterkälte. In der Zeit des Winterschlafs sind die Tiere besonders verletzlich, da sie bei Störungen oft Aufwachen und dabei viel lebenswichtige Energie verlieren. Grosse Kolonien werden deshalb besonders überwacht und Höhlen in Einzelfällen für Besucher gesperrt.

Mehr zu den fliegenden Säugetieren erfahren Sie hier ("Höhlenforschung und Fledermaus").

Das Höhlentier des Jahres

 

Podcast "Mehr als Dreck – Höhlen und ihre Geheimisse": Die Höhle, ein Lebensraum für Käfer, Falter, Spinnen, Wassertiere und mehr...

Das Archiv im Untergrund

Bei gleichbleibenden Umgebungsbedingungen und fehlendem Regen findet fast keine Erosion statt. Dies macht Höhlen zu wissenschaftlichen Fundgruben.

Was an der Oberfläche längst der Verwitterung zum Opfer gefallen ist, hat in Höhlen überdauern können. Dies ermöglichst Archäologen Funde, die wichtige Informationen zur Menschheitsgeschichte mit sich bringen. Paläontologen können anhand von Spuren und Überresten herausfinden, welche Tiere früher wo und wie gelebt haben. So erfahren wir beispielsweise mehr über den Höhlenbären, einen Vorgänger des Braunbären. Biologe finden in dieser von der Aussenwelt nur gering beeinflussten Umgebung wertvolle Hinweise auf die Veränderungen in der Tierwelt im Laufe der Erdgeschichte.

Nicht nur schön farbige Tropfsteine, auch unscheinbar wirkende Ablagerungen sind wertvoll. Sie geben Hinweise zur Entstehung von Höhlen und ihre Bestandteile lassen manchmal sogar Schlüsse auf das Klima und die Pflanzenwelt in längst vergangenen Zeiten zu. Die Form der Ablagerungen wiederum lässt Rückschlüsse auf die damalige Oberflächengestalt und die bis heute fortgeschrittene Talentwicklung zu.

Solche Zeichen und Spuren sind für Laien häufig nicht erkennbar und ihre Auswertung kann selbst für Spezialisten sehr schwierig sein. Entsprechend gross ist die Gefahr, dass wichtige Bestandteile im Naturarchiv gar nicht erst erkannt und ausgewertet, sondern zuvor durch Besuche unwissentlich zerstört werden.

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