Anmerkung
Der § 7 bildet den eigentlichen Ehrenkodex

1. Definition

Dieser Ehrenkodex, der 1992 von der Delegiertenversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Höhlenforschung angenommen worden ist, bildet einen Zusatz zu den Statuten der SGH. Er hält die Grundzüge der moralischen Verantwortung der Höhlenforscher fest und wendet sich an den schweizerischen Höhlenforscher, ganz gleich, in welchem Erdteil er sich gerade aufhält, und an den ausländischen Höhlenforscher in der Schweiz. Es wäre wünschenswert, wenn die Internationale Union für Speläologie die Ausarbeitung derartiger Ehrenkodexe vermehrt fördern würde.
Leitsatz: Eine aus eigenem Antrieb formulierte Ethik hat bessere Aussichten, eingehalten zu werden.

2. Ziele

  • Formulierung ethischer Prinzipien in Form eines Ehrenkodexes. Es handelt sich dabei nicht um ein Reglement, könnte aber als Basis für konkrete Massnahmen verwendet werden.
  • Anstreben einer freiwilligen Übereinkunft unter den Speläologen und Höhlentouristen, um den Karst möglichst wenig zu beeinträchtigen
  • Grösstmögliche Verbreitung dieser Stellungsnahme bei Höhlenforschern innerhalb und ausserhalb der SGH, bei Behörden, Reiseunternehmungen, etc. und Suche nach Unterstützung für die Bewahrung der Karstlandschaft
  • Für Interventionen bei Behörden zum Schutze des Karstes benötigt die SGH höchste Glaubwürdigkeit.

Leitsatz: Zuerst mit dem guten Beispiel vorangehen, dann fordern.

3. Ethik und Reglementation

Ein Ehrenkodex ist prinzipiell einem Reglement vorzuziehen, da gemeinsam abgefasste Empfehlungen viel eher vom einzelnen Höhlenforscher eingehalten werden als Gesetze, die ausserhalb der Vereine entstanden sind, und welchen die Gefahr der Eigendynamik anhaftet. Selbst wenn bei den meisten Prinzipien a priori Einhelligkeit besteht, verleiht ihnen die schriftliche Festhaltung mehr Einfluss und bildet zudem eine wichtige Grundlage, um die Kreise ausserhalb der SGH zu informieren. Ein Text, der die Einstellung von tausend SGH-Mitgliedern festhält, kann wesentlich mehr bewirken als der Vorstoss eines Einzelnen.

Reglemente, Gesetze und Prüfungen sollten grundsätzlich immer das allerletzte Mittel darstellen. Die freiwillige Einhaltung ethischer Prinzipien verhindert letztlich die Entstehung und Verschärfung von Reglementen und beschränkt den Verschluss von Höhlen zu deren Schutz auf wenige Ausnahmefälle. Jedem Höhlenforscher sollte es am Herzen liegen, die Grundsätze dieses Ehrenkodexes weiterzuverbreiten, wo auch immer er sich befindet.

Leitsatz: Eigenverantwortung ist der beste Höhlenschutz.

4. Vorgehen

Die drei nachfolgend beschriebenen Stossrichtungen sollten von jedermann auf allen ihm möglichen Ebenen weitergetragen werden. Die Koordination dieser Bemühungen soll eine Daueraufgabe der Kommission für Höhlenschutz werden.

Innerhalb der SGH: Überzeugung der aktiven Höhlenforscher und -touristen von der Nützlichkeit des Ehrenkodexes. Dabei kommt den Kommissionen (insbesondere der Kommission für Ausbildung) und den Vereinen eine entscheidende Bedeutung zu. Auch die Veröffentlichung von entsprechenden Artikeln im Stalactite trägt zur Sensibilisierung bei.

  • Ausserhalb der SGH: Organisation von Vorträgen; Ausarbeitung und Verbreitung von Prospekten, bestimmt für Behören, Freizeitunternehmern, Schauhöhlenverwaltungen, etc.; Redaktion von entsprechenden Artikeln und Pressemitteilungen; Aktionen in Zusammenarbeit mit den Organen des Naturschutzes
  • Parallel dazu: Im Rahmen der Kommission für Höhlenschutz muss überlegt werden, wie den Auswirkungen des Massentourismus, des Höhlentrekkings und der willentlichen Karstverschmutzung an der Oberfläche und in der Höhle begegnet werden kann.

Leitsatz: Die Kommission für Höhlenschutz erhält hiermit eine Daueraufgabe.

5. Höhlenforschung und Tourismus

Die Unterscheidung der beiden Aspekte ist weder realistisch noch wünschbar, denn jeder Forscher betätigt sich auch als Höhlenbesucher und umgekehrt. Die Forschung ist allerdings viel mehr als der reine Höhlenbesuch von den investierten Mitteln abhängig (Arbeitsaufwand, Wissensvermittlung, Erfahrungswerte, Geldmittel, Koordination, Dokumentation, Veröffentlichung...) und benötigt entsprechende Unterstützung.

Beide Aspekte der Höhlenforschung können die Höhlen gleichermassen gefährden, dann nämlich, wenn der Zweck die Mittel heiligt... Wichtig ist einzig die Verhaltensweise jedes einzelnen gegenüber dem unterirdischen Milieu.

Der Höhlentourismus kann allerdings ein erhöhtes Gefahrenpotential für die Höhle darstellen:

  • Im Vergleich zu den kleinen Forschungsequipen sind die reinen Höhlenbesucher sehr zahlreich. Die Höhle wird entsprechend mehr beansprucht.
  • Das Umgehen mit dem Element Höhle und die notwendige Ethik ist in grossen Gruppen schwierig zu vermitteln.
  • Die Höhle bildet oft eine grosse Herausforderung. Wird sie nur als Sportgerät benützt, so wird sie auch nicht mehr respektiert.


Das Trekking, da unter der Obhut von Führern, kann diese negativen Auswirkungen theoretisch vermindern, aber:

  • diese Kontrolle ist zeitlich beschränkt, und es wird kaum möglich sein, den zahlreichen „Kunden" das respektvolle Verhalten gegenüber der Höhlenwelt beizubringen.
  • Höhlen-Trekking basiert auf ökonomischen Prinzipien: Besuche und Teilnehmer müssen möglichst zahlreich sein (was nur mit Werbung zu erreichen ist). Dies kann zu einer explosionsartigen Entwicklung führen. Dadurch können die heutigen Kunden zu zukünftigen Höhlenforschern werden, welchen das Verständnis für die Höhlenwelt fehlt.
  • die Entwicklungen und Folgen in einigen Ländern sprechen für sich: häufige Unfälle, Höhlenverschlüsse, administrative Probleme (Versicherungen, Reglemente, Ausbildung, gespannte Verhältnisse zu Eigentümern und Gemeinden, etc.).


Die SGH ist zurückhaltend, was den Massentourismus und das Trekking angeht. Da Letztere jedoch praktiziert werden, erachtet es die SGH als unbedingt notwendig, diese Freizeitaktivitäten mittels Formulierung von Verhaltensregeln und ev. einer Liste von Höhlen, die sich für Besuche eignen in eine positive Richtung zu steuern.

Leitsatz: Jeder Höhlenbesuch kann zur Zerstörung der Höhle beitragen.

6. Dokumentation, Publikation und Datenschutz

Grundsätzlich ist die Dokumentation und Publikation der Forschungsresultate anzustreben. Es liegt in der Eigenverantwortung des Autors, ob, in welcher Form und in welchem Medium er die Publikation verantworten kann. Einige Leitlinien mögen für den jeweiligen Entscheid von Nutzen sein:

  • Die Dokumentation über eine Gegend oder Höhle wird in den Archiven der SGH gesammelt und bleibt den Forschern zugänglich, die dort aktiv sind. Anfragen von Dritten werden in der Regel an die Forschergruppen weitergeleitet, welche sich in der Regel im Sinne einer gegenseitigen Zusammenarbeit verhält.
  • Wissenschaftliche Publikationen sollten grundsätzlich die vollständigen Informationen enthalten; gewisse Daten (Koordinaten, etc.) könnten im Fall einer akuten Gefährdung vom Autor vorenthalten werden. Dieselben Ausnahmen gelten für die Archive der SGH, indem gegebenenfalls der Zugang zu den darin enthaltenen Informationen eingeschränkt wird.
  • Artikel, die sich an ein breites Publikum richten, haben hingegen keinen Anspruch auf Vollständigkeit; Koordinaten oder technische Daten sollten weggelassen werden. Diese Art von Publikationen sollte Sensationshäscherei vermeiden und auf die Aufklärung der Öffentlichkeit ausgerichtet sein.

Leitsatz: Veröffentlichung - Eine Aufgabe der Ehrlichkeit und eine grosse Verantwortung.

7. Verhalten in der Höhle

Die Eigenverantwortung jedes einzelnen bildet den besten Schutz für die Höhle. Der Höhlenforscher sollte so behutsam wie möglich mit der Höhle umgehen und die folgenden Grundsätze beachten:

  • Gute Kontakte mit den Ortsansässigen sind die Grundlage der Imagepflege der Höhlenforscher (Wegbenutzung und das Parkieren der Fahrzeuge, Abfälle, nächtliche Lärmbelästigung, Schliessen von Gattern, Respektierung von Kulturen und des Viehs, etc.).
  • Grundsätzlich nichts beschmutzen, nichts wegnehmen, nichts zurücklassen und so wenig Spuren wie möglich hinterlassen. Nicht nur, was für unser Auge schön erscheint, ist erhaltenswert, sondern die Höhle als Gesamtes. Dazu gehört auch die Erhaltung von Kalkablagerungen und Sedimenten (Sinter, Lehm, Sand, Versturz, etc.), welche als Erbe der Natur anzusehen sind.
  • Die Höhle als fragiles Biotop betrachten und seine Bewohner, welche mikroskopisch klein sein können, nie vergessen. In diesem Sinne sollte auch das klimatische Gleichgewicht der Höhle nicht dauerhaft verändert werden.
  • Die eigenen physischen Grenzen möglichst nicht überschreiten; eine gute Selbstbeherrschung ist die beste Garantie eines angemessenen und bewussten Verhaltens (mit der Übermüdung gehen alle guten Vorsätze verloren).
  • Die Ausrüstung und Einrichtungen sollten möglichst minimal sein und diskret bleiben, aber ohne Gefährdung der allgemeinen Sicherheit. Es ist vorteilhaft, wenn die Expeditionen möglichst leicht sind und die Transporte auf das Nötigste beschränkt bleiben. Damit entfallen auch übermässige Einrichtungen.
  • Künstliche Veränderungen (Konstruktionen, Einrichtung von permanenten Biwaks, massive Freilegungen, Absenken von Siphons...) sollten die Ausnahme sein und Einrichtungen nach Möglichkeit nur provisorisch erfolgen. Die Entscheidung bedarf jeweils reiflicher Überlegung der Folgen für die Höhle (z.B. klimatische Veränderungen).
  • Der Besuch von Höhlen in grossen Gruppen sollte vermieden werden.
  • Besuche von Höhlen oder von Systemen, die in Bearbeitung sind, sollten nach Absprache mit den dort aktiven Höhlenforschern stattfinden, dies aus Sicherheitsgründen und aus Respekt vor dem geistigen „Anrecht". Allerdings leitet sich daraus kein Anspruch der regelmässig aktiven Forscher auf die Höhle an sich ab; die SGH wendet sich gegen übertriebene Verschlüsse von Höhlen.

Leitsatz: Zuerst überlegen, dann handeln; Unüberlegte Aktionen können katastrophale und unwiderrufliche Folgen haben.